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Sprache und Gehirn: eng lokalisiert?

 Seit die Regierung der USA die 90er Jahre zur ``Decade of Brain'' erklärte, haben sich weltweit die Anstrengungen vervielfacht, die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen. So sind Linguisten und Psychologen, Psychiater und Neurowissenschaftler, Computerexperten und Philosophen, die unter dem Forschungszweig kognitive Neurowissenschaft zusammenarbeiten, gegenwärtig dabei, neue Ansichten über die Verarbeitung kognitiver Fähigkeiten im Gehirn zu entwickeln. Obwohl wegen der Ergebnisse der ``Decade of Brain'' heute davon ausgegangen werden kann, daß das Gehirn die materielle Basis für alle mentalen Fähigkeiten des Menschen ist, herrscht in der kognitiven Wissenschaft immer noch ein Funktionalismus vor, demzufolge mentale Phänomene unabhängig von ihrer physiologischen Basis untersucht werden (SCHWARZ 19962:59).
Viele Philosophen und Neurobiologen hingegen sehen mentale Phänomene als eine emergente Eigenschaft des Gehirns an, d.h., daß eine Vielzahl von Nervenzellen im Gehirn das Auftauchen von geistigen Phänomenen verursacht (vgl. SEARLE 1986). Dieser Ansatz wird allerdings von ROTH (1996) heftig kritisiert, denn er ist der Überzeugung, daß Emergenztheoretiker und einige Hirnforscher nicht müde werden,
Geist und insbesondere das subjektive Erleben als eine letztlich ``unerklärliche'' Eigenschaft zu beschreiben. Eine solche Haltung verwechselt das Wesen einer wissenschaftlichen Erklärung mit der Möglichkeit, etwas anschaulich oder gar gefühlsmäßig nachvollziehen zu können.
(Vorwort von ROTH in CHURCHLAND 1996:XIV)
Eine weitere mögliche Herangehensweise an das Problem bietet der moderne neurobiologische Materialismus. Er geht davon aus, daß geistige Zustände mit physikalischen Zuständen gleichzusetzen sind und schließlich in physikalische Termini übersetzt werden können. Innerhalb dieses Standpunktes gibt es aber noch entscheidende Unterschiede. Für den radikalen Reduktionisten CHANGEUX (1984) beipielsweise ist der Geist vollständig auf die Eigenschaften von Nervenzellen oder sogar nur von deren Teilen wie Synapsen zurückzuführen. Der eliminative Materialist wie CHURCHLAND (1996) hingegen glaubt, daß mentale Zustände abhängig sind von der Aktivität millionenfacher Neuronen, die im menschlichen Gehirn ein großes und komplexes Netzwerk bilden. Auf der Ebene einzelner Neuronen kommt es noch nicht zu geistigen Phänomenen. Welcher Ansatz der richtige ist und welchen Nutzen letztendlich die Kognitive Linguistik aus der Problematik Gehirn/Sprache-Relation ziehen kann, ist noch längst nicht geklärt, jedoch schließe ich mich der kühnen Behauptung von PULVERMÜLLER (1996) an, man könne die Sprache erst verstehen, wenn man verstanden habe, wie das Gehirn arbeitet.gif

Seit etwa zwanzig Jahren stehen dem Wissenschaftler für diese Aufgabe Techniken wie Computertomographie (CT),gif Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) zur Verfügung. Mit den beiden zuletzt genannten Verfahren kann man biochemische Aktivitäten und den Blutfluß des Gehirns erfassen und nach Verarbeitung in einem Computer in verschiedener Weise übersichtlich darstellen. Versucht ein Proband beispielsweise eine sprachliche Aufgabe zu lösen, so sind die an der Aufgabe beteiligten Gehirnbereiche stärker durchblutet als die anderen. Mittels der Verfahren kann dann festgestellt werden, welche Gehirngebiete an dieser kognitiven Leistung mitgewirkt haben.gif Mit dem Aufkommen der neuen Techniken ist es nun möglich, die von der Aphasieforschung im Gehirn postulierte Sprachregion einerseits zu bestätigen, andererseits aber auch zu erweitern. Denn die lange gepflegte - von den frühen Aphasieforschern wie Broca und Wernicke ausgehende - Idee einer starren Zuordnung von Läsion und Funktionsausfall muß durch die bildgebenden Verfahren weitgehend aufgegeben werden. Auch so überschaubare Schemata wie: die linke Gehirnhälfte ist für Sprache und die rechte Gehirnhälfte ist für das Fühlen zuständig, haben sich als zu einfach erwiesen. So ergaben PET-Studien bisher, daß während sprachlicher Aufgaben bei rechtshändigen Personen die linke sprachdominante Hemisphäre aktiv ist, insbesondere die klassische Sprachregion, welche mit Blut aus der mittleren Hirnarterie versorgt wird. Dieser Befund stimmt mit der traditionellen Vorstellung überein, jedoch zeigt ein weiterer Befund in Verbindung mit sprachlichen Aufgaben, die das Sprachverständnis testen, auch Aktivität in einigen Regionen der rechten Gehirnhälfte.gif Mit der PET-Methode konnte die Broca-Region, die mit Prozessen der Sprachproduktion verbunden ist, bestätigt werden. Darüber hinaus stellte sich heraus, daß diese Region auch bei Aufgaben aktiv ist, die die Sprachproduktion nicht beanspruchen.gif Schließlich haben die PET-Studien gezeigt, daß bei jedem Zugriff auf das Lexikon sowohl links- als auch rechtshemisphärische Gehirnregionen beteiligt sind. Es scheint unter den Forschern aber Einigkeit darüber zu herrschen, daß Regionen im linken Schläfenlappen, insbesondere in der Umgebung des Wernicke-Areals, an diese Funktion gekoppelt sind. Bei sprachlichen Aufgaben sind neben der Aktivierung prämotorischer Regionen des linken Frontallappens (das Supplementär-motorische Areal) auch subkortikale Regionen, die in der Nachbarschaft der Brocaschen und Wernickeschen Sprach-Areale liegen, beteiligt (vgl. PETERSEN et al. 1988).

Nach all diesen Befunden vergleichen manche Forscher, wie PINKER (1996:364) anführt, das Gehirn eher mit einem undifferentierten Fleischklops anstatt dem Ansatz von SCHNELLE (1994) zu folgen, und eine Karte des Gehirns mit Regionen für verschiedene Sprachbereiche zu zeichnen. Allein die kategorienspezifischen Wortfindungsstörungen bei aphasischen Patienten haben gezeigt, daß es zu sehr scharf umrissenen Defekten im Zugriff auf das mentale Lexikon oder innerhalb des Lexikons kommen kann. PINKER (1996:365) unterstützt den Ansatz und glaubt, daß zukünftige ausgereiftere Techniken im Gehirn Regionen auffinden können, die für so spezifische Strukturen wie Nominalphrasen und metrische Bäume zuständig sind.

So trägt POECK (1997) meines Erachtens die neueren Befunde, die sowohl die Annahme spezifischer als auch unspezifischer Gehirnkarten sprachlicher Funktionen erlauben könnten, verständlich zusammen:

Insgesamt sprechen die bisher vorliegenden Befunde für eine Netzwerk-
Organisation des Gehirns mit je nach Aufgabe wechselnder, dynamischer Verschaltung und gegen die Annahme eng lokalisierter Zentren mit kleinen Speichereinheiten. Vermutlich sind im Gehirn nicht Eigenschaften abgespeichert, sondern Prozesse repräsentiert. Gegenüber diesem Konzept kommt es einem Beibehalten der alten Zentren-Lehre in moderner Terminologie gleich, wenn man unterstellt, bestimmte Hirnwindungen nähmen die Implementierung von Wortformen und Sätzen vor, andere die Vermittlung von Verben, während wieder andere die Vermittlung von Hauptwörtern ausführten. Die Funktionsweise des Gehirns gleicht eben nicht der eines herkömmlichen Computers, der Merkmale lokal speichert und einen Input durch Vergleich von Merkmalen identifiziert.
(POECK 1997:40)
Bei der Erforschung kognitiver Fähigkeiten des Menschen im Gehirn ist es wichtig, das komplexe Netzwerk in ``unserem Kopf'' zu entschlüsseln. Dabei ist es die Aufgabe des Forschers, bis in das Verständnis der Arbeitsweise der kleinsten Bau- und Funktionseinheiten unseres Organismus, namentlich den Neuronen vorzustoßen. Das bloße Suchen nach briefmarkengroßen Hirnfleckchen (PINKER 1996:367), die für sprachliche Fähigkeiten verantwortlich sein sollen, führt vom erklärten Ziel moderner Sprachwissenschaft ab, die biologischen Prinzipien der menschlichen Sprachfähigkeit aufzuklären (vgl. PULVERMÜLLER 1996).

In den nächsten beiden Abschnitten sollen die im Rahmen neurophysiologischer und neuroanatomischer Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse über die Beziehung neuronaler Prinzipien und sprachlicher Fähigkeiten betrachtet werden. Dabei muß angeführt werden, daß zwar die neuen technischen Entwicklungen die bisher getrennt arbeitenden Forschungsgebiete Kognitionsforschung und Neurowissenschaft zusammengeführt haben, ihre wissenschaftlichen Ansätze jedoch

meistens ohne Verbindungspunkte aneinander vorbei laufen und die Gehirnfunktionen des Menschen auf zwei verschiedenen, anscheinend wenig kompatiblen Ebenen mit einer sehr unterschiedlichen Terminologie beschrieben werden.
(SCHWARZ 19962:59)




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Sun Jan 30 19:15:22 MET 2000