auf ihre kognitive Realität hin betrachtet werden. Das EEG bietet
mehrere verschiedene Methoden zur Untersuchung der menschlichen Sprachverarbeitung
an. Mit Hilfe einer Spektralanalyse der Meßwerte kann untersucht
werden, welche Gehirnareale bei der Verarbeitung gesprochener Sprache aktiviert
werden. Besonders erfolgreich ist eine andere elektrophysiologische Methode,
die sogenannte Event-related-potential-Methode (ERP), bei der die zeitliche
Auflösung der Gehirnaktivität im EEG gemessen wird. Diese ERPs
oder EKPs (= ereignis-korreliertes Potential) werden als kognitive Komponenten
bezeichnet, da sie mit kognitiven Prozessen (z.B. Sprachverarbeitung) sowie
mit psychischen Zuständen des Probanden (z.B. Aufmerksamkeit), nicht
aber mit physikalischen Eigenschaften des Reizes korrelieren. Zu den ereignis-korrelierten
Potentialen wird beispielsweise der sprachspezifische N400-Effekt
gezählt. Dieser Effekt, der seit seiner Entdeckung von KUTAS/HILLYARD
(1980) inzwischen weltweit bestätigt worden ist, tritt immer dann
auf, wenn ein Inhaltswort oder ein Bild
nicht zu einem vorher präsentierten Kontext paßt. Dieser Kontext
kann entweder aus einem Satz (z.B. Herr Meier bestreicht sein Brot mit
Socken) oder aber auch aus einem einzelnen Inhaltswort oder einem Bild
bestehen. Die Amplitude variiert nach der Art der Beziehung zwischen Kontext
und Zielitem. Je größer die Abweichung zwischen dem präsentierten
Inhaltswort und kontextbedingter Einschränkung, um so ausgeprägter
ist die Amplitude der N400. So konnten Untersuchungen zeigen, daß
ein N400-Effekt durch lexikalische Suchaufgaben ausgelöst wird (vgl.
BENTIN et al. 1985). In diesen lexikalischen Suchaufgaben muß die
Versuchsperson entscheiden, ob das zweite Wort eines semantisch aufeinander
bezogenen Paares, beispielsweise Baum-Eiche, zu der durch das erste
Wort beschriebenen Kategorie gehört oder nicht. Wörter, die aus
anderen Bedeutungskontexten stammen als das erste Wort (prime), lösen
dabei eine deutlich ausgeprägte N400 aus. Kunstwörter ohne Bedeutung,
sogenannte Pseudowörter, führen zu N400-Wellen bei deutlich verlängerten
Reaktionzeiten, so daß der N400-Effekt auch als Korrelat der Suchzeit
im mentalen Lexikon interpretiert werden kann. Die N400 gilt zwar als hirnelektrische
Antwort auf semantisch inkongruent endende Sätze, modifiziert tritt
dieser Effekt aber auch bei Worterwartung und Worthäufigkeit auf.
So lösen seltene, niederfrequente Inhaltswörter höhere N400-Amplituden
als hochfrequente Inhaltswörter aus (vgl. BUNSE 1999:13).
deren Konzepte im semantischen Netzwerk durch taktile, visuelle, akustische, aber auch olfaktorische, gustatorische und motorische Komponenten repräsentiert sind.Das Auftreten einer konkreten Wortform wie Banane korreliert demnach stark mit dem Auftreten von nichtsprachlichen Stimuli verschiedener Modalitäten. Abstrakte Wörter, wie beispielsweise Frieden, können primär nicht durch unsere Sinne erfaßt werden und sind daher vornehmlich verbal repräsentiert (WEISS 1997:131).
(WEISS 1997:131)
Auf der neurobiologischen Ebene läßt sich die Repräsentation
beider Wortarten nach dem neurophysiologischen Konzept von Donald O. Hebb
(vgl. Abschnitt 2.2) wie folgt beschreiben: Da nach der Hebbschen Regel
gleichzeitig erregte Neuronen ihre synaptische Verbindungen verstärken,
kann davon ausgegangen werden, daß beim kindlichen Erlernen konkreter
Inhaltswörter, zu denen die Nomina sowie Verben
und Adjektive gehören, neben den sprachrelevanten Neuronengruppen
in der perisylvischen Region auch weit verteilte sensorische Gehirnregionen
integriert sind, die zusätzlich die Wortbedeutung repräsentieren.
Demnach ``feuern'' Neuronen aus der perisylvischen Region gleichzeitig
beispielsweise mit Neuronen des visuellen Kortex bei dem Auftreten der
Wortform Banane. Es entstehen somit immer Assemblies für Konkreta,
deren
Neuronen über weite Teile des Kortex verteilt sind (PULVERMÜLLER
1996:34). Diese Verteilung ist zudem weniger linkshemisphärisch lateralisiert.
Im Gegensatz zu den Cell Assemblies der konkreten Nomina ist die kortikale
Verteilung von Assemblies der abstrakten Wörter weniger stark im Gehirn
vernetzt, da diese Wörter vorwiegend nicht durch Sinneseindrücke
wahrgenommen werden. Die Konkreta sind demnach durch eine stärkere
Vernetzung sensorischer Areale im Gehirn repräsentiert als Abstrakta.
Generell kann davon ausgegangen werden, daß die Modalität, die für das Lernen der Bedeutung eines Wortes besonders relevant war, die kortikale Topographie der Assembly festlegt.Vor diesem Hintergrund weisen die Konkreta eine über beide Hemisphären weit verzweigte und somit eine bessere bzw. effizienter vernetzte Repräsentation im Gehirn auf als die Abstrakta. Diese Tatsache findet ihre Bestätigung in den Befunden aus der klinischen Neuropsychologie und Aphasiologie. Aus der Neuropsychologie berichten TYLER et al. (1995), daß Aphasiker konkrete Wörter leichter verarbeiten als abstrakte Wörter. Ganz allgemein ist aus der klinischen Neuropsychologie bekannt, daß Abstrakta und Konkreta nach einer Läsion selektiv gestört sein können (SHALLICE/WARRINGTON 1987), was die Annahme unterstützt, daß beide Wortarten topologisch unterschiedlich repräsentiert sein können. Bei der Untersuchung von Sprachgesunden konnte auch eine bessere Merkfähigkeit konkreter Nomina festgestellt werden (vgl. EVIATAR et al. 1990). Vergleicht man Konkreta und Abstrakta, so scheint der Zugriff auf die Repräsentation von Abstrakta, die ohne gegenständlichen Bezug in der Welt und nur begrifflich faßbar sind, schwieriger und im allgemeinen leichter störbar zu sein. So kommt WEISS (1997) zu der plausiblen Erklärung, daß bereits bei abstrakten Nomina eine einzige Läsion
(PULVERMÜLLER 1996:34)
eine weitaus stärkere Beeinträchtigung der Funktion des Netzes bewirkt, da u.a. weniger Gehirnregionen beteiligt sind, so daß der Defekt des Netzwerkes schlechter kompensiert werden kann.Die Konkreta hingegen sind einfacher zugänglich bzw. leichter verarbeitbar. Aufgrund der zusätzlichen Repräsentation nichtsprachlicher Eindrücke haben die Konkreta nach WEISS (1997:126) stark redundante Eigenschaften. Diese redundanten Systeme bewirken im Falle einer Störung im Netzwerk der Konkreta im Gegensatz zu den Abstrakta eine vergleichbar schwächere Beeinträchtigung der Verarbeitung.
(WEISS 1997:142)
Aus der klinischen Neuropsychologie ist weiterhin bekannt, daß
bei Wortfindungsstörungen der Zugriff auf bestimmte lexikalische Kategorien
innerhalb der Konkreta, wie z.B. auf Namen von Objekten (SHALLICE/WARRINGTON
1984), Werkzeugen (DAMASIO et al. 1996) oder Personen (MÜLLER/KUTAS
1997) selektiv beeinträchtigt sein kann. Vor diesem Hintergrund existieren
ausreichend klinische Befunde, bei denen Patienten nach einer Läsion
eine spezifische Beeinträchtigung im Gebrauch von Gattungsbezeichnungen
oder Eigennamen aufweisen. Bei der letztgenannten Kategorie zeigt sich,
daß sowohl beim Erinnern als auch beim Erlernen von neuen Eigennamen
eine ganz besondere Anfälligkeit für Gedächtnisfehler besteht.
Es gibt beispielsweise aphasische Patienten, die in der Lage sind, anhand
der Photographie einer berühmten Person Aussagen über deren Freunde,
Verwandte oder Beruf zu machen, aber nicht fähig sind, den Vor-/Zunamen
dieser Person zu nennen.
So zeigte der aphasische Patient A.N. auf das Bild von Marilyn Monroe folgende
Reaktion:
A.N.: Ihren Namen kenne ich nicht, aber ich weiß, wer sie ist; ich habe ihre Filme gesehen. Sie hatte eine Affäre mit dem Präsidenten. Sie hat Selbstmord begangen; oder hat vielleicht jemand sie getötet, die Polizei vielleicht?Hier kommt das sogenannte TOT-Phänomen zum Ausdruck, bei dem zwar semantische, nicht aber phonologische Informationen über Marilyn Monroe zur Verfügung stehen. Eigennamen sind häufiger vom tip of the tongue-phenomenon betroffen als Gattungsbezeichnungen (vgl. KNOBLAUCH 1992).
(DAMASIO/DAMASIO 1994:65)
Die Unterscheidung der Konkreta in Eigennamen (= Nomina propria) und
Gattungsbezeichnungen (= Nomina appellativa) wird auch in der Sprachwissenschaft
viel diskutiert. Die Nomina propria nehmen dabei eine Sonderstellung innerhalb
der konkreten Nomina ein, wobei die Definition von Eigennamen äußerst
schwierig erscheint und eigentlich nur eine widerspruchsfreie Äußerung
nach VATER (1965:207) möglich ist: Die Eigennamen sind Substantive.
Ihre primäre semantische Funktion besteht in ihrer Referenz und sie
verfügen dabei nicht über eine primäre Bedeutung. Sie verweisen
nicht über eine deskriptive Charakterisierung auf ihre Referenten,
sondern die Referenz wird direkt vollzogen, wie beispielsweise bei Marilyn
Monroe oder Mount Everest. Die Eigennamen verfügen somit
nicht über ein Konzept und bilden keine semantisch strukturierten
Felder. Es ist ausgeschlossen, daß z.B. der Name Fred den
Anwendungsbereich des Namens Otto begrenzt. Sie müssen ihren
Gegenständen einzeln zugeordnet werden. Weiterhin ist es nicht möglich,
daß es bei den Eigennamen zur Vagheit in der Referenz kommt, da sie
sich nicht aufgrund von Merkmalen auf Konzepte beziehen. Die bestimmte
Person Marilyn Monroe beipielsweise kann nicht ``mehr oder weniger''
Marilyn
Monroe sein, sondern es kann nur zu einer eindeutigen Identifizierung
kommen. Appellativa, wie Sessel, Stuhl, Mensch, hingegen haben eine
Bedeutung.
Sie bezeichnen nach LEWANDOWSKI (1990:77) eine ganze Gattung gleichgearteter
Dinge oder Lebewesen und zugleich jedes einzelne Wesen oder Ding dieser
Gattung. Appellativa verfügen über ein Konzept. Aber jeder
einzelne Mensch verfügt hinsichtlich der Gattungsbezeichnungen über
individuelle Konzepte stereotypischer Objekte, was als Unschärfe,
Vagheit unserer Wörter bezeichnet wird. Ein Objekt kann einen mehr
oder weniger typischen Vertreter eines solchen Konzeptes darstellen und
dazu noch über Merkmale mehrerer Konzepte verfügen, was ebenso
zur Vagheit der Referenz führen kann. Ein Objekt wie Sofa besitzt
gleichzeitig Merkmale des Konzeptes Stuhl und des Konzeptes Sessel.
Sowohl die sprachtheoretische Unterteilung der Konkreta in Gattungsbezeichnungen
und Eigennamen als auch die Befunde aus der klinischen Neuropsychologie
lassen die Annahme zu, daß eine topologisch unterschiedliche Repräsentation
der lexikalischen Kategorien und/oder ein unterschiedlicher Zugriff auf
diese besteht. MÜLLER/KUTAS (1997) haben mit der in diesem Abschnitt
bereits eingeführten Event-related-potential-Methode (ERP-Methode)
sprachgesunde Probanden auf mögliche kognitive Unterschiede in der
Verarbeitung akustisch dargebotener Eigennamen und Gattungsbezeichnungen
untersucht.
Aufgrund der abgeleiteten ereignis-korrelierten Hirnrindenpotentiale kommen
MÜLLER/KUTAS (1997) zu dem Schluß, daß die Propria schneller
und anders verarbeitet werden als die Appellativa.
Am besten und schnellsten wird der eigene Vorname verarbeitet. MÜLLER/KUTAS
(1997) schlagen folgenden Ansatz vor:
Eine mögliche Erklärung für den vorliegenden Befund wäre die Existenz von versteckten Hinweisreizen auf phonologischer Ebene. So könnten aus onomatopoetischen, also klangästethischen Gründen, bestimmte Phonemkonstellationen im Wortbeginn typisch für Eigennamen sein und sie so anzeigen.Auch Ergebnisse von PET-Studien bekräftigen die Annahme, daß unterschiedliche Verarbeitungsorte für verschiedene Wortklassen im Gehirn bestehen. So ergaben PET-Untersuchungen von DAMASIO et al. (1996) sowohl an sprachgesunden als auch an aphasischen Probanden, daß drei verschiedene Objektkategorien in drei separaten Regionen der linken Hemisphäre, genauer im linken Schläfenlappen vermittelt werden.
(MÜLLER/KUTAS 1997:165)
Diese drei verschiedenen begrifflichen Kategorien repräsentierten
zum einen unspezifische, grundlegende Objektkategorien, wie die Tier- und
Werkzeugkategorie, zum anderen die Kategorie ganz bestimmter Personen,
wie beispielsweise Berühmtheiten. Aus den Untersuchungen ergab sich
eine Korrelation von Personennamen mit der Gehirnregion um den linken Schläfenlappenpol
(temporal pole = TP) bzw. von Tiernamen mit dem vorderen Bereich des linken
unteren Schläfenlappens (anterior inferiotemporal = anterior IT).
An diese Region schließt sich die weiter hinten liegende untere Schläfenregion
(posterior inferiotemporal = posterior IT) an, die mit dem Abruf von Wörtern
für Werkzeuge korreliert. Auffällig war bei aphasischen Probanden,
daß kategoriale Kombinationsdefekte, wie beispielsweise Personen/Tiere
auftraten, aber kaum kombinierte Personen/Werkzeuge-Defekte. Dieser klinische
Befund untermauert die Auffassung einer unterschiedlichen Bindung zwischen
diesen drei Wortklassen.
Abbildung 10: Der Abruf verschiedener Wortklassen in verschiedenen
Teilen der linken Hemisphäre (Quelle: DAMASIO et al. 1996:501)
DAMASIO et al. (1996) vermuten, daß die Schläfenlappenregionen eine vermittelnde Rolle (= intermediary role) beim lexikalischen Abruf einnehmen. Sie sollen den Zugang zu den Wissensrepräsentationen erleichtern, an denen verschiedene sensorische Modalitäten und neuronale Netzwerke überall in beiden Hemisphären beteiligt sind (SPRINGER/DEUTSCH :150).
The intermediary regions do not contain in explicit form the names for all persons, animals or tools. We suggest, instead, that they hold knowledge about how to reconstruct a certain pattern (for example, the phonemic structure of a given word) in explicit form, within the appropriate sensorimotor structures. The intermediary role outlined here has a counterpart in the cognitive and linguistic proposals by Levelt and Garrett, among others, which also involve the interposition of a processing step between concepts being evoked and word forms being made explizit.Die vorgestellten Ergebnisse von WEISS (1997), MÜLLER/KUTAS (1997) und
(DAMASIO et al. 1996:504)
In Kapitel 2 stand der Versuch im Vordergrund, die menschliche Sprachverarbeitung anhand neuroanatomischer und neurophysiologischer Aspekte zu beschreiben. In Anlehnung an POECK (1997) kann dabei festgehalten werden, daß die Sprachverarbeitung im Gehirn in komplexen Systemen erfolgt. Diese Systeme involvieren sowohl kortikale als auch subkortikale Strukturen beider Hemisphären und bilden somit die Grundlage für weitverteilte, parallelarbeitende Netzwerke. Die Cell-Assemblies, die für die Verarbeitung von Sprache verantwortlich sind, haben besonders viele Verschaltungen in der perisylvischen Region, die deshalb auch als klassische Sprachregion bezeichnet wird. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, daß Neuronenverbände, die außerhalb der Sprachregion liegen, ebenfalls Aktivität in bezug auf Sprache zeigen, wodurch erklärt wird, warum nicht nur Hirnläsionen in der perisylvischen Region sehr häufig zu Aphasien führen.