Wortfindungsstörungen beim Benennen von Bildern treten in allen vier klassischen Aphasiesyndromen (globale, Wernicke-, Broca- und amnestische Aphasie) auf. Alle Aphasiepatienten haben mit bestimmten Wörtern Schwierigkeiten, die im überwiegenden Maße aber nicht über sogenannte ``Nullreaktionen'', sondern über bestimmte aphasische Antwortmuster beobachtbar sind. Mit charakteristischen Ersatzstrategien sind die Aphasiepatienten überzufällig häufig in der Lage, dem geforderten Zielwort nahe zu kommen. Die als Wernicke-Patientin diagnostizierte Ingrid Tropp Erblad (TE) zum Beispiel konnte in ihrer Wortproduktion folgendes Phänomen beobachten:
Es passierte oft, daß ich falsche Wörter gebrauchte. Dann hörte ich im allgemeinen selbst, daß ich etwas Falsches gesagt hatte. [...] Wollte ich ``rot'' sagen, konnte es ``blau'' werden. Wollte ich ``Winter'' sagen, wurde es sicher ``Sommer'', aus ``warm'' wurde ``kalt''. Immer wieder mußte ich mich berichtigen. Es war ermüdend.Dieses aphasische Antwortmuster der Patientin TE zeigt eindeutig, daß zwischen dem gesuchtem Zielwort und der tatsächlich gegebenen Antwort eine Bedeutungsverwandtschaft besteht. Die gesuchten Zielwörter werden hier durch semantisch naheliegende Wörter ersetzt und im allgemeinen als semantische Paraphasien bezeichnet. Da dieser Fehlertyp häufig bei allen Aphasiepatienten zu beobachten ist, kommt EVERS-VOLPP (1988) zu dem Schluß,
(TROPP ERBLAD :40f.)
daß Wortfindungsstörungen etwas mit den Wortbedeutungen zu tun haben, die als im mentalen Lexikon abgespeichert angenommen werden.Ergebnisse aus Benennexperimenten von KOHN/GOODGLASS (1958) an Wernicke-, Broca- sowie amnestischen Aphasikern unterstützen die Annahme, daß sich die einzelnen diagnostischen Gruppen nicht signifikant bezüglich des Vorkommens semantischer und phonematischer Paraphasien unterscheiden. Es kann daher angenommen werden, daß aphasische Patienten aller Syndromgruppen vergleichbare Wortfindungsstörungen bei der Benennung von Objekten haben. Aphasische Antwortreaktionen unterliegen demnach keinem willkürlichen Prozeß, sondern haben als abweichendes Antwortmuster überzufällig häufig eine nachvollziehbare Bedeutungsähnlichkeit mit dem geforderten Zielwort. Das hier vorliegende Phänomen beschreibt die Aphasikerin TE anschaulich als ein in ``unserem Kopf'' befindliches ``Regalsystem''.
(EVERS-VOLPP 1988:106)
Ich stellte mir vor, daß die Wörter im Gehirn in Kategorien eingeteilt sind. Wie ein Regalsystem, das für verschiedene Kategorien von Wörtern verschiedene Regale hat. Wenn ich zum Beispiel ``Sommer'' bestellte, eilten kleine Gehirnarbeiter zum Regal für Jahreszeiten und kamen mit ``Winter'' zurück.Die folgenden neurolinguistischen Daten zu Wortfindungsstörungen in Benennungsaufgaben stammen aus unterschiedlichen Quellen, wie beispielsweise von STACHOWIAK (1979) oder BLANKEN (1990, 1997).
(TROPP ERBLAD :41)