Abbildung 20: Semantisch-klassifikatorische Paraphasien in Benennungsaufgaben
Dabei zeigt der Katalog von abweichenden Antwortreaktionen, daß
die semantischen Relationen zwischen Zielitems und Fehlbenennungen auf
klassifikatorischen Ordnungsprinzipien beruhen. Nach VOGELS (1978) können
vier verschiedene Typen von semantischen Fehlbenennungen festgehalten werden,
die zum Stimuluswort einen systematischen Zusammenhang aufweisen und laut
LEUNINGER (1989:59)
eine begriffliche oder Sinnstruktur erkennen
lassen. So zählen die semantischen Ordnungsprinzipien wie ``Klassenähnlichkeit'',
``Polarität'', ``Super- und Subordination'' sowie die ``Teil-von''-Relation
zu den vorherrschenden Relationen zwischen Zielwort und Benennversuch.
Die Aphasiker verwechseln somit Wörter, die aus dem gleichen semantisch-klassifikatorischen
Feld stammen, so daß hier die Theorie von LYONS (1963) über
semantische Relationen eine Typisierung [...] der semantischen Fehlleistungen
aphasischer Patienten (STACHOWIAK 1979:49) erlaubt. Die auf Bedeutungsähnlichkeit
beruhende Paraphasie zum Zielwort wird im vorliegenden Fall als semantisch-klassifika-
torische Paraphasie präziser definiert und gehört als Resultat
einer Ersatzstrategie mit zu den [...] prominentesten bei aphasischen
Erscheinungen auftretenden Fehlertypen (EVERS-VOLPP 1988:134). Dieser
Typ von abweichender Objektbenennung wird von HILLERT (1990a) auch als
semantisches Antwortmuster bezeichnet, welches zum Stimuluswort in paradigmatischer
Beziehung
steht. Eine Antwort ist dann als paradigmatisch zu etikettieren, wenn intendiertes
Stimuluswort und abweichende Objektbenennung Bedeutungsmerkmale im Sinne
der klassischen Merkmaltheorie miteinander teilen. Der aphasische Benennungsversuch
Apfel
auf das Stimuluswort BANANE spiegelt eine paradigmatische Relation wider,
da statt der Produktion des geforderten Zielwortes ein Konjunkt bzw. Kohyponym
geäußert wird.
Die Kohyponymie bzw. Koordination als nicht-binäre Kontrastrelation
spielt bei den aphasischen Fehlleistungen eine besondere Rolle, denn aphasische
Patienten produzieren überzufällig häufig Wortsubstitutionen,
die mit dem Zielwort auf derselben Stufe der Hierarchie semantische Felder
bilden. STACHOWIAK (1979:53) kommt daher zu der Annahme, daß die
aphasische Fehlleistung auf der Produktion benachbarter Wörter beruht,
da die Kohyponymie
die weitaus häufigste Relation in Benennungsexperimenten
ist.
Aufgrund ihrer engen Beziehung wird
das Band zwischen Konjunkten anscheinend
selbst durch ernsthafte Hirnschädigungen nicht zerstört,
was bei Versagen des Auswahlmechanismus aber leicht zu semantischen Wortverwechslungen
führen kann (AITCHISON 1997:110f.).
Die von Aphasikern produzierten semantisch-klassifikatorischen Paraphasien
bestätigen schließlich die kognitive Realität, oder wie
STACHOWIAK (1979) darlegt,
die psychologische Relevanz der Annahme, daß das Lexikon in semantische Felder gegliedert ist, deren Struktur durch bestimmte semantische Relationen zwischen den einzelnen Lexemen gekennzeichnet ist.Abschließend kann festgehalten werden, daß Fehlbenennungen in einem umfangreichen Maße semantische Paraphasien sind, die zum Stimuluswort hierarchische Gliederungsaspekte des Lexikons aufweisen. Die im mentalen Lexikon abgespeicherten sprachlichen Elemente sind aber nicht nur semantisch-klassifikatorisch, sondern nach HUBER et al. (1975) auch situativ-referentiell in ``unserem Kopf'' organisiert. Wernicke-Aphasiker beispielsweise bevorzugen nominale Paraphasien, die zum Stimuluswort in situativ-referentieller bzw. thematischer Relation stehen. HUBER et al. (1975) nehmen daher eine Zweiteilung der semantischen Fehlleistungen vor: semantisch-klassifikatorische und situativ-referentielle Paraphasien. Letztere zählen nach EVERS-VOLPP (1988:134) zu dem zweiten prominenten Fehlertyp und bildet im folgenden das zentrale Thema in Benennungsaufgaben.
(STACHOWIAK 1979:60)