Kein ausgesprochenes Wort steht im Bewußtsein des Sprechers und Hörers so vereinzelt da, wie man aus seiner lautlichen Vereinsamkeit schließen könnte. Jedes ausgesprochene Wort läßt seinen Gegensinn anklingen. Und noch mehr als dies. In der Gesamtheit der beim Aussprechen eines Wortes sich empordrängenden begrifflichen Beziehungen ist die des Gegensinns nur eine und gar nicht die wichtigste. Neben und über ihr taucht eine Fülle anderer Worte auf, die dem ausgesprochenen begrifflich enger oder ferner benachbart sind. Es sind seine Begriffsverwandten. Sie bilden unter sich und mit dem ausgesprochenen Wort ein gegliedertes Ganzes, ein Gefüge, das man Wortfeld oder sprachliches Zeichenfeld nennen kann.HILLERT (1987:14) folgert aus Triers Annahmen, daß die Gliederung des Wortschatzes der mentalen Organisationsstruktur des semantischen Lexikons entspricht. Die in paradigmatischer Beziehung stehenden Wörter, wie Stuhl - Tisch, sind demnach in viele Felder im semantischen Gedächtnis des Menschen gegliedert. Diese von Trier nicht näher spezifizierten Bedeutungsfelder sind von LYONS (1963) in Form semantischer Relationstypen weiter entwickelt und dargelegt worden. Die semantischen Relationen werden von Lyons unter dem Aspekt des binären Kontrasts (Opposition) und des nicht-binären Kontrasts in Form einer hierarchischen Ordnung beschrieben.
(TRIER 1931:1)
Oft ist es recht schwierig, einen passenden Oberbegriff zu finden, wie zum Beispiel bei ``Hagel'', ``Regen'' und ``Schnee''. Der Fachbegriff ``Niederschlag'' ist in erster Linie dem Wetterbericht vorbehalten. Und wie ist das bei ``Husten'' und ``Niesen''? Handelt es sich dabei um ein
Geräusch, das Atembewegungen anzeigt? Was sind ``Badewannen'' und ``Waschbecken''? Badezimmerinstallationsobjekte oder sanitäre Einrichtungsgegenstände?
(AITCHISON 1997:118)
in eine Art Wörterbuch eingetragen, während die sie umgebenden nicht-wesentlichen Merkmale in einer Enzyklopädie des Allgemeinwissens aufgeführt sind.
(AITCHISON 1997:56)
Abbildung 17: Lexikalische Einheit mit Kern-Konzept, kernlosem
Konzept und lexikalische Lücken
Das Wortbeispiel (3-1) zeigt ein versprachlichtes Konzept
Quadrat
mit einer festen Kernbedeutung, die aus notwendiger und hinreichender Bedingung
besteht.
Die Beispiele (3-2) und (3-3) zeigen jedoch, daß die Wunschvorstellung
vom ``Herausziehen'' einer Kernbedeutung, die als lexikalisches Wissen
klar abgrenzbar vom enzyklopädischen Wissen sein soll, für die
meisten Wörter nicht existent ist. SCHWARZ/CHUR (1993:40) sprechen
daher von Merkmalen, die entweder als sprachlich relevante Gebauchsbedingungen
oder als irrelevant für die Bedeutung des Wortes sind. So kommen
den Wörtern eher unscharfe als feste Bedeutungen zu, wie die Wortbeispiele
(3-4) und (3-5) illustrieren. Darüber hinaus bringen die Beispiele
(3-7)-(3-9) ein besonderes Phänomen zum Ausdruck: die sogenannte ``lexikalische
Lücke''. Die Verbalisierung des Konzepts, wie es die anderen Beispiele
zeigen, bleibt hier aus. Die Sprecher im deutschsprachigen Raum haben beispielsweise
kein versprachlichtes Konzept für NICHT-MEHR-DURSTIG-SEIN. In anderen
Sprachkulturen kann dieses mentale Konzept jedoch versprachlicht sein.
Letztendlich lassen sich die Wortbedeutungen, wie AITCHISON (1997:50)
anschaulich formuliert,
nicht festnageln wie tote Insekten, aber:
Selbst wenn jedes Wort irgendwo eine wahre Bedeutung besitzt, so ist diese Bedeutung für das mentale Lexikon ziemlich irrelevant.Die unscharfe Bedeutung von Wörtern führt zwangsläufig zu dem Phänomen der unscharfen Ränder von semantischen Feldern bzw. Kategorien und zu der von dem Philosophen Ludwig Wittgenstein formulierten Vorstellung der ``Familienähnlichkeit''. Diese basiert auf der Tatsache, daß den semantischen Kategorien verschwommene, unscharfe Grenzen zukommen. Für LUTZEIER (1995:6) ist die Vorstellung, daß nicht jedes Wort mit einzig seinen Feldnachbarn innerhalb eines vorgegebenen inhaltlichen Rahmens verbunden ist, geradezu trivial. Die Mitglieder einer Kategorie unterscheiden sich eher hinsichtlich unterschiedlicher Typikalitätsgrade, d.h. die Mitglieder einer Kategorie teilen mindestens ein oder mehrere Merkmale bzw. Attribute mit einem oder mehreren anderen Mitgliedern. Die einer semantischen Kategorie verwandten Mitgliedern können somit durch die Form AB-BC-CD-DE beschrieben werden (vgl. WITTGENSTEIN 1953). Diese Form zeigt anschaulich, daß es eigentlich keine Attribute gibt, die allen Mitgliedern gleichermaßen zukommen. Hier kommt das Syndrom der ``Familienähnlichkeit'' zum Tragen.
(AITCHISON 1997:58)
Es ist die mentale Repräsentation eines typischen Mitglieds einer Kategorie. Die Mitglieder von Kategorien lassen sich auf einem Kontinuum der Kategorienzugehörigkeit anordnen. Die Mitglieder sind also in unterschiedlichem Maß repräsentativ oder typisch für eine Kategorie. Den idealen Repräsentanten einer Kategorie nennt man Prototyp.Durchgeführte Experimente von der Psychologin Eleanor Rosch haben ergeben, daß die meisten Probanden das Rotkehlchen für den typischsten Vogel hielten, gefolgt von Spatz, Kanarienvogel, Amsel, Taube und Lerche. Der Pinguin oder der Strauß hingegen stellen keine prototypischen Vögel dar. Innerhalb der Etikettierung von Prototypen ist das Phänomen der sogenannten Basiskonzepte zu verzeichnen. Der Mensch verfügt über eine Abstraktionsebene, auf der Konzeptkategorien am deutlichsten und am informationsreichsten von anderen Kategorien unterschieden werden (SCHWARZ/CHUR 1993:52). Auf dieser sogenannten Basisebene werden die allgemeinsten Kategorien gebildet, die mit dem geringsten kognitiven Aufwand (HILLERT 1987:47) noch ein mentales Bild entwerfen. Beispielsweise werden die semantischen Kategorien wie Tisch, Blume, Hund, Vogel als ausgezeichnete Basiskonzepte angesehen. Diese Konzepte werden am leichtesten erworben und laut HILLERT (1987) kann der Zusammenhang zwischen Prototypen und Basiskonzepten wie folgt dargelegt werden:
(SCHWARZ/CHUR 1993:49)
Prototypische Basiskonzepte sind Exemplare, die mit anderen Mitgliedern einer übergeordneten Kategorie die meisten Attribute teilen, denen größte Gestaltähnlichkeit zukommt [...].Aber wie AITCHISON (1997) darlegt, ist die Prototypentheorie keine brauchbare Alternative zur Merkmaltheorie. Zwar braucht man keine feste Anzahl von Vogelmerkmalen mehr, um einen Vogel als Vogel bezeichnen zu können, doch ist folgendes festzuhalten:
(HILLERT 1987:52)
Das ``stille Ideal in den flüsternden Kammern der Phantasie'' führt zu Widersprüchen. Je genauer man Prototypen untersucht, desto hartnäckiger entziehen sie sich unserem Zugriff.So bleibt sowohl das Wesen der semantischen Merkmale als auch das Wesen der Prototypen rätselhaft, denn welcher ``prototypische'' Prototyp repräsentiert beispielsweise die semantische Kategorie Spiel (vgl. WITTGENSTEIN 1953). Prototypen verfügen selbst über eine prototypische Struktur (vgl. POSNER 1986), die ganzheitlich in Form von Merkmalbündeln in ``unserem Kopf'' abgespeichert sind. Die Merkmalbündel, wie Federn, Flügel, Schnabel, Nestbau, Flugvermögen ergeben zusammengenommen einen recht ordentlichen Vogel für den Menschen, so daß AITCHISON (1997:87) zurecht von folgendem ausgehen kann:
(AITCHISON 1997:81)
Prototypen repräsentieren innere Theorien. Man konstruiert sich unbewußt ``mentale Modelle'', um sich im Leben und mit allen Dingen, die dazugehören, zurechtzufinden. Diese Modelle sind unentwirrbare Mischungen aus scharfen Beobachtungen, kultureller Gehirnwäsche, bruchstückhaften Erinnerungen und einer Prise Phantasie. Sie verkörpern die Annahmen einer Person über die Welt - einschließlich naiver Vorstellungen teils erlernter, teils erfundener Art darüber, wie sie funktioniert.Innerhalb der modernen Lexikontheorien gibt es zwei konkurrierende Modelle, die den Anspruch erheben, die psychologische Realität des semantischen Wissens und damit auch die strukturellen und operativen Eigenschaften der Suchprozesse und Zugriffsroutinen abzubilden: das Merkmalmodell und das Netzwerkmodell.
(AITCHISON 1997:87)