Sein hervorstechender Fehlertyp war untypisch für die Mehrzahl der Aphasiker: Er produzierte viele Wortsubstitutionen beim mündlichen Benennen [...]. Beim Benennen bestanden 64/250 Reaktionen aus phonologisch bezogenen Ganzwortsubstitutionen [...]. Reine semantische Paraphasien waren selten (5/250).Phonologisch bezogene Ganzwortsubstitutionen, die keine semantische, sondern eine ausschließlich phonologische Ähnlichkeit zum Zielwort, wie beispielsweise Beutel anstatt EUTER aufweisen, werden in den letzten Jahren von Forschern häufiger beschrieben und werden abschließend unter Berücksichtigung der Frage von BLANKEN (1996:48), ob formale Paraphasien aus lexikalischen Fehlern oder aus phonematischen Fehlern, die sich nur zufällig zu neuen Wörtern zusammenfügen? entstehen, in dieser Arbeit diskutiert.
(BLANKEN 1996:44)
Nach dem Ansatz der strengen Zwei-Stufen-Theorien mit zusätzlich
postulierter Lemma-Ebene bewirkt eine ausgewählte semantisch-syntaktische
Repräsentation - und nur diese - (KULKE/BLANKEN 1997:53) nach
Aktivierung mehrerer Lemmata (= Lemma-Kohorte) die Aktivierung einer entsprechenden
Lautstruktur. Bezüglich der Aktivierung von Lexemen wird im vorliegenden
Fall die Hypothese vertreten, daß im Vergleich zur Lemma-Kohorte
keine Lexem-Kohorte aktiviert wird, sondern nur ein Lexem zur Aktivierung
bereitsteht, welches schließlich phonologisch encodiert wird. Aus
pathologischen Gründen kann ein vom Stimuluswort abweichendes Lexem
ausgewählt werden, das aber schließlich in der Regel ein
semantisch eng verwandtes Lexem darstellt (BLANKEN 1996:40).
Nach BLANKEN (1996:44) gehen daher die Eigenschaften der formalen Paraphasien
gut
einher mit den Voraussagen interaktiver Netzwerktheorien, welche nämlich
auch die Aktivierung von Lexem-Kohorten postulieren, so daß mehrere
Lemmata auf der semantischen Ebene mehrere Lexeme auf der phonologischen
Ebene aktivieren können.
Die Zielwörter haben hier permanent Konkurrenten, und Fehler entstehen dadurch, daß die Konkurrenten ``unbeabsichtigt'' das Rennen gewinnen, daß heißt mehr Aktivität besitzen als das jeweilige Zielwort.Neben den Feedforward-Prozessen zusammen mit dem ``spreading activation''-Vorgang werden hier zusätzlich Feedback-Prozesse postuliert, welche zu einer erneuten Aktivierung jeweils übergeordneter Ebenen führen. Als Konsequenz dieses Ansatzes ist es den jeweils höheren Ebenen erlaubt, die niedrigere Ebene ein zweites Mal zu aktivieren, wodurch die Möglichkeit besteht, in die Fehlerprozesse der jeweils untergeordneten Ebene einzugreifen. Eine solche Einmischung von oben ist nach diskreten feedforward-Modellen, wie es die Zwei-Stufen Modelle darstellen, nicht möglich, da ``höhere'' Prozesse, zum Beispiel die Lemma-Aktivierung, bereits abgeschlossen sein müssen, sobald ``tiefere'' Prozesse, zum Beispiel die Lexem-Aktivierung, stattfinden.
(BLANKEN 1996:39)
Abbildung 29: Die Wortproduktion erweitert um eine Ebene der
segmentalen (phonematischen) Verarbeitung (Quelle: BLANKEN 1991:32)
Zwischen den formbezogenen lexikalischen Prozessen und den sublexikalischen,
den segmentalen Prozessen, werden die interaktiven Aktivierungsabläufe
als ``Feedback-Schleife'' bezeichnet.
Formbezogene Wortsubstitutionen entstehen nun aufgrund von Störungen
der Interaktionsprozesse zwischen den aktivierten Wortformen auf der einen
Seite und ihren Segmenten auf der anderen Seite. Mit steigender Aktivierung
auf der Wortformebene werden alle mit den aktivierten Lexemen in Frage
kommenden phonematischen Segmente auf der Phonem- bzw. Segment-Ebene ebenfalls
aktiviert. Und nun setzt ein entscheidender Prozeß ein, der in keinem
seriellen Modell vorgesehen ist: Von der Phonemebene geht ein Feedback
(Rückkopplung) zur Ebene der Lexeme (Wortformen), wobei es vorkommen
kann, daß auch Wortformen ohne semantische, sondern mit formaler
Beziehung zum Zielwort aktiviert werden. Setzt sich diese Aktivierung durch,
kommt es zu formalen Paraphasien, d.h. durch Feedback-Prozesse können
andere ähnlich klingende Lexeme mitaktiviert werden, die eine Wortformsubstitution
möglich machen.
Eine solche Erklärung steht nicht im Widerspruch zur Zwei-Stufen-Theorie der Lexikalisierung, denn sie verlagert den interaktiven Mechanismus auf post-semantische Prozesse. Beide interagierenden Prozeßebenen sind der Formverarbeitung zuzurechnen, und Lemma-Aktivation und Lexem-Aktivation bilden zwei distinkte und diskrete Stufen der Lexikalisierung.Die aphasische Fehlreaktion Haar zum Stimuluswort HAND kann folgendermaßen beschrieben werden: Auf der Ebene der Lexeme wurden u.a. auch ARM, BEIN, WAND oder HAAR aktiviert. Über die Rückkopplung von den Phonemen zur Lexemebene wurden zwar die initialen Vokale richtig aktiviert, doch auch über die ``interaktive Aktivationsschleife'' konnte das Zielwort nicht ausreichend stark aktiviert werden, so daß letztendlich ein formbezogenes Wort Haar zum Stimuluswort HAND vom Aphasiker ausgewählt wurde. In bezug auf die Modellierung des Wortproduktionsprozesses kann somit festgehalten werden, daß das Fehlermuster bei RB nicht mit einer strengen seriellen Zwei-Stufen-Theorie verträglich ist. Nach der modularen Theorie einer autonomen Semantik-Komponente wären ausschließlich semantische Wortsubstitutionen zu erwarten, nicht jedoch formbezogene Fehler.
(BLANKEN 1996:49)
Bezüglich zukünftiger Forschungsprojekte im Rahmen der linguistischen Aphasiologie und Neurolinguistik plädiert BLANKEN (1991:34) für eine stärkere Einbeziehung von Fragen der Rehabilitation von Aphasikern, insbesondere der Sprachtherapie und des sprachlichen Lernens [...], denn der aphasische Patient will seine Sprachstörung überwinden:
Daß ich meine Krankheit auf so technische Weise betrachtete, war mir eine gute Hilfe. Ein eingestürzter Tunnel läßt sich sicher wieder in Ordnung bringen. Schickt man ausreichend viele Wörter hindurch, wird die Passage wohl allmählich größer. Und sucht man im Lager ständig nach neuen Wörtern, wird man sich schließlich einprägen können, wo sie liegen.Vor diesem Hintergrund benötigt der Aphasiepatient brauchbare Hilfestellungen von außen, so daß hier die ``Fremdorganisation'', die innerhalb des dritten Prinzips der psycholinguistischen Theorien zur menschlichen Sprachverarbeitung nach RICKHEIT/
Es galt also, zu üben, zu üben, und noch einmal zu üben.
(TROPP ERBLAD :40)
Wenn man sich nicht selbst berichtigt, ist es wichtig, daß andere es tun, damit die kleinen Gehirnarbeiter gezwungen werden, zurückzulaufen und das richtige Wort zu holen. Darin besteht ja das Training.
(TROPP ERBLAD :42)