bzw. aus modalitätsunabhängigen semantischen Repräsentationen
besteht (vgl. CARAMAZZA et al. 1990). Neben den Befunden von modalitätsübergreifenden
Fehlleistungen und intakten sensorischen Modalitäten dienen insbesondere
die im überwiegenden Maße von Aphasiepatienten produzierten
semantisch-klassifikatorischen Paraphasien als Indiz dafür, daß
aphasische Wortfindungsstörungen auf einer innerkonzeptuellen Organisationsstörung
bzw. auf einem supramodalen semantischen Defizit beruhen. Die sprachgestörten
Patienten, die demnach überwiegend in Benennungsaufgaben Antworten
geben, die Bedeutungsmerkmale mit dem Stimuluswort teilen, sollen über
eine sogenannte ``Verarmung'' des Lexikons bzw. Auflösung semantischer
Felder im Sinne der klassischen Merkmaltheorie leiden, weil nämlich
diese
Interpretation mit der Konzeption eines autonomen lexikalisch-semantischen
Systems zu vereinbaren ist (HILLERT 1990a:106). Das grundlegende Problem
für Patienten mit einem lexikalischen semantischen Defizit besteht
darin, daß die bedeutungsbestimmenden Merkmale eines Wortes, zu dem
für Sprachproduktion und -verständnis erforderlichen Zeitpunkt
nicht vollständig verfügbar sind. Hinzu kommt, daß den
Betroffenen dabei nicht immer bewußt ist, daß sie zum gesuchten
Stimuluswort eine semantisch abweichende Benennantwort liefern. Da Aphasiepatienten
überzufällig häufig benachbarte Unterbegriffe wie Tisch
statt
STUHL verwenden, favorisiert VOGELS (1978) die Theorie, daß
Aphasiker im Sinne der klassischen Merkmaltheorie eine semantische Analyse
eines Wortes zwar grob leisten können - immerhin bewegen sich ihre
Fehler innerhalb des gesuchten semantischen Feldes - ihnen jedoch die Feindifferenzierung
zwischen den Konjunkten bzw. Kohyponymen mißlingt. Vor diesem Hintergrund
würde das Stimuluswort STUHL beispielsweise eine paradigmatische Antwort
Tisch
provozieren, weil dem aphasischen Patienten nicht alle spezifischen semantischen
Merkmale von STUHL zur Verfügung stehen. Der Betroffene wählt
zwar das entsprechende semantische Feld MÖBEL korrekt aus, verwechselt
aber schließlich innerhalb dieser Kategorie, aufgrund fehlender Feindifferenzierung,
das Stimulusitem mit einem benachbarten Unterbegriff. Der vorliegende Fall
illustriert im klassischen Sinne eine Strukturhypothese, wobei angenommen
wird, daß die Störungsursache insbesondere bei Wernicke-Aphasikern
auf einer gestörten semantischen Struktur innerhalb des Lexikons beruht.
Die Störungsursache beruht eher auf einer Unfähigkeit, die lexikalischen
Informationen ``bewußt'' abzurufen. Wie schwierig es ist, der Störungsursache
von Wernicke-Aphasikern nahezukommen, zeigen weitere Befunde der Priming-Tests:
Die Ergebnisse der Voraktivierungsversuche weisen allerdings doch auf eine Beeinträchtigung des automatisierten Zugriffs hin, da im Vergleich zu den Broca-Aphasikern die Wernicke-Patienten deutlich längere Reaktionszeiten hatten. Damit scheint eher ein Defizit hinsichtlich der semantischen Verarbeitungsprozesse vorzuliegen als eine Verzerrung der zugrundeliegenden semantischen Struktur.Vor diesem Hintergrund favorisieren einige Forscher die Prozeßhypothese, die besagt, daß die Handhabung des semantischen Lexikons gestört ist. Bei der Vorstellung von einer netzartigen Organisation des internen Speichers mit der Grundannahme der semantischen Ähnlichkeit als dem wichtigsten Organisationsprinzip, verursacht der Abruf eines mit dem Zielwort semantisch eng verknüpften und auf gleicher Kategorisierungsstufe stehenden Wortes eine aphasische Fehlleistung. Semantisch-klassifikatorische Paraphasien entstehen demnach, weil sie bezüglich ihrer großen semantischen Ähnlichkeit nah beieinander im Netzwerk abgespeichert sind, während situativ-referentielle Beziehungen entweder durch - metaphorisch formuliert - eine größere Entfernung der Konzepte [...] notiert werden könnten (LEUNINGER 1986:231).
(HILLERT 1987:71f.)
Das für die Auswahl des intendierten Zielitems notwendige kritische
Aktivierungsniveau, der sogenannte ``Schwellenwert'', bleibt aus und verursacht
beim sprachgestörten Patienten eine semantische Wortsubstitution.
Durch semantische Voraktivierung kann das kritische Aktivierungsniveau
herabgesetzt werden, so daß die geschwächte Aktivierung für
das geforderte Zielitem ausreicht.
Aber nach HILLERT (1990a, 1990b) liegen entscheidende Befunde mit aphasischen Patienten vor, die eine Organisationsstörung unglaubwürdig machen. Das für eine Differenzierungsstörung starke Indiz von modalitätsneutralen semantischen Paraphasien wird durch die Existenz sprachgestörter Patienten geschwächt, die nur in einzelnen sprachlichen Modalitäten semantische Störungen zeigen. So kommt HILLERT (1990b:140) zum Schluß, daß der von Forschern
aufgedeckte Zusammenhang zwischen Störungen lexikalischer Produktion und Perzeption [...] nicht notwendigerweise ein Argument für die These eines konzeptuellen [semantischen] Defizits [ist]. Hohe Korrelationen weisen nur auf einen Zusammenhang hin, doch von welcher Art dieser ist, bleibt unklar. Ebenso könnte auch die Hypothese einer Zugriffsstörung favorisiert werden.BUTTERWORTH et al. (1984) bekräftigen die Annahme einer Zugangsstörung, indem sie von Sprachgestörten berichten, die nicht notwendigerweise itemspezifische Übereinstimmungen zwischen Produktion und Verstehen eines bestimmten Wortes aufwiesen. Insgesamt führen laut HILLERT (1990a:111) zweifelhafte Untersuchungsmethoden eher zur Annahme einer Zugangsstörung bei semantischen Fehlleistungen.
(HILLERT 1990b:140)
:
Semantische Klassifikationen erfordern vollkommen andere kognitive Prozesse als solche, die in Wahrnehmungsprozessen der Wortidentifikationen involviert sind. [...] aphasische Minderleistungen in Klassifizierungsaufgaben [können] dadurch entstehen, daß der Proband durch die ungewohnte Aufgabenstellung (semantische Ähnlichkeiten zwischen Wörtern zu erkennen, nicht wahrnehmen!) gezwungen ist, Antworten zu geben, die nicht mit dem Antwortkonzept des Experimentators übereinstimmt.Vor diesem Hintergrund müssen semantische Störungen, die sich sowohl in der Produktion als auch im Verständnis ausdrücken, nicht notwendigerweise auf einer Organisationsstörung beruhen.
(HILLERT 1990a:110f.)