Abbildung 1: Lappeneinteilung des Kortex (Quelle: FERNER/STAUBESAND
1973:3)
Abbildung 2: Die perisylvische Sprachregion (Quelle:
PINKER 1996:357)
Abbildung 3: Das Störungsbild einer Broca-Aphasie. Der Hirninfarkt
beschränkt sich auf das Versorgungsgebiet einer vorderen Abzweigung,
der Arteria praerolandica(Quelle: POECK 1997:37)
Abbildung 4: Das Störungsbild einer Wernicke-Aphasie. Der
Hirninfarkt beschränkt sich auf das Versorgungsgebiet einer hinteren
Abzweigung, der Arteria temporalis posterior (Quelle: POECK 1997:37)
Die Abbildungen 3-4 zeigen das Versorgungsgebiet der mittleren Hirnarterie
mit den für die Broca- und Wernicke-Sprachregion verantwortlichen
arteriellen Abzweigungen der Arteria cerebri media. Die sprachlichen Regionen
der linken Hemisphäre werden, wie zu Beginn schon ausgeführt
wurde, mit Blut aus den Ästen der Arteria cerebri media versorgt.
Kommt es zu einem Gefäßverschluß in dem Versorgungsgebiet
der von der Arteria cerebri media abzweigenden Arteria praerolandica, ist
eine Broca-Aphasie
zu diagnostizieren. Bei einer Unterversorgung mit Blut in der Arteria temporalis
posterior, die ebenfalls eine abzweigende Arterie aus der Arteria cerebri
media ist, läßt sich eine Wernicke-Aphasie feststellen.
Im folgenden werden die sprachlichen Leitsymptome der einzelnen Aphasietypen
linguistisch betrachtet.
Die Broca-Aphasie zeichnet sich durch zwei Leitsymptome aus: Agrammatismus
und Artikulationsstörungen (Dysarthrien). Diese beiden nicht notwendig
miteinander verbundenen Symptome kommen bei Broca-Aphasikern häufig
gemeinsam vor. Deren Sprachproduktion wird oft als ``Telegrammstil'' bezeichnet,
da mit dem Agrammatismus das Fehlen von Funktionswörtern und das Überwiegen
von Inhaltswörtern verbunden ist. Die Patienten vermitteln mit wenigen,
mühsam und meist verwaschen ausgesprochenen zwei-bis-drei-Wort-Sätzen
relativ viel Information. Auf die Frage des Untersuchers Wie hat es
mit ihrer Krankheit angefangen? folgt Ein, zwei, drei, vier Tage
... eh ...Flugzeug ...Sonne als agrammatische Antwort des Patienten
(HUBER et al. :113). Die
Wortwahl ist zudem beeinträchtigt durch viele phonematische Paraphasien,
d.h. es kommt häufig zu lautlichen Veränderungen einzelner Worte
durch Substitution, Auslassung, Umstellung oder Hinzufügung einzelner
Laute. Dafür ist ihre semantische Sprachebene oft besser erhalten
und semantische Paraphasien sind seltener als einfache Wortfindungsstörungen.
Das Sprachverständnis ist nur leicht gestört. Folgendes Beispiel
zeigt die Sprache eines aphasischen Patienten, der beim Benennen von Bildern
nach der richtigen phonematischen Form des Wortes sucht. In den Benennbemühungen
des Patienten werden sowohl semantisch verwandte Worte des eigentlich intendierten
Wortes angesteuert als auch das richtige Zielwort.
Abbildung: Erbsen (in Schote)
Benennung: das ist eine Ibs, Ibse, Ibs, ein Bis, nein, Bern, ahh,
ein Sid, Ibse, Gotsi. Langsam! lang, lerg, das ist eine Erbse!
Abbildung: Badewanne
Benennung:
Dodobahn, ah, wie sagt man da, Schade, Schadebahn, Schadehand,
Schac hn, wie sagt man da, Schargenbahn, nein, Schau, Schauber, Schaum,
nein, was sagst denn, Schaumbahn, nein, Schaumba..., ja, das! Schaumba
, Schaumbad, Schaumbad
Abbildung: Banane
Benennung: eine Schablad,nein, Schablah, nein, eine Schasblas, mm,
Banane
Abbildung: Schmetterling
Benennung: Ein Schwet, Schwet, Schwetterling? ein Schmetterling,
Schmetterling!
(GOLDENBERG 1997:80)
Das Leitsymptom der Wernicke-Aphasie ist der Paragrammatismus, d.h.
Sätze und Teilsätze werden abgebrochen, verdoppelt und verschränkt.
Zumeist ist er mit einem Wortarteneffekt verbunden: Die Patienten produzieren
viele Funktionswörter, aber wenige Inhaltswörter. Mit vielen
Worten vermitteln sie wenig Inhalt, verfügen aber über einen
gut erhaltenen Redefluß, der bei fehlender sprachlicher Selbstkontrolle
in einen ungehemmten Sprachfluß münden kann. Bei der Produktion
der Inhaltswörter kommen sowohl phonematische als auch semantische
Paraphasien vor. In aller Regel überwiegen die semantischen Paraphasien,
die auch oft grob vom Zielwort abweichen können. Die Bildung von semantischen
Neologismen, sogenannten Wortneubildungen, wie beispielsweise Redbussen
(GOLDENBERG 1997:79) sind nicht auszuschließen. Zahlreiche semantische
Paraphasien können die Botschaft der Rede unkenntlich machen, oder
es können die Inhaltswörter fast völlig fehlen, so daß
das Überwiegen der Funktionswörter zu einem inhaltsleeren Gerede
führt. Kommt es beim Wernicke-Aphasiker zum Abbruch seiner Äußerung,
weil er das passende Wort nicht findet, kann ein typisches Suchverhalten,
das sogenannte ``conduite d'approche'' beobachtet werden: Der Patient nähert
sich in mehreren Benennversuchen dem Zielwort phonematisch, semantisch
oder morphologisch an. Bleibt dieser Versuch vergeblich, kann es zum ``conduite
d'ecart'' kommen, dem Abdriften von der Zielform. Im folgenden zeigen die
ausgewählten Beispiele eine geglückte morphologische Suche und
ein Abdriften vom intendierten Zielwort.
Abbildung: Bügeleisen
Benennung: das für KI-Kübel, oder wie sagt man Kübel,
Kübel, das ist Bügel, .. Bügelmasch, bü-Bügel
das ist das erste ... Bügelmaschine
Abbildung: Kaffeemaschine
Benennung: Felmschit memaschit nimatschot schimanot mehl Kamelmahet
Kamel-
würmerhet Nasche
(Quelle: TESAK 1997:21)
Der Status der amnestischen Aphasie (= Anomie) wird von den Forschern
unterschiedlich beurteilt. Während sich die Läsionen der anderen
Aphasietypen in weitgehend abgrenzbaren Gehirnregionen der linken Gehirnhälfte
lokalisieren lassen, hat die amnestische Aphasie kein eindeutig erkennbares
Korrelat in einem bestimmten Gefäßgebiet. Die Läsionen
liegen jedoch vorwiegend retrorolandisch, d.h. temporoparietal (vgl. POECK ).
Nach BENSON (1979) soll der in Abbildung 2 erkennbare gyrus angularis,
der sich posterior an die perisylvische Region anschließt, der typische
Läsionsort für die amnestische Aphasie sein. Die Aufnahme der
amnestischen Aphasie in den Syndromenkomplex reicht dabei von der extremen
Ansicht BAYs (1957), der diese Aphasie als die eigentlich ``wirkliche''
Aphasie auffaßt, bis hin zur Annahme, daß es kein eigenständiges
Syndrom ``amnestische Aphasie'' gebe, sondern man nur zwischen unterschiedlichen
Schweregraden der Wernicke-Aphasie unterscheiden müsse. Letztere Ansicht
geht auf die Mailänder Forschungsgruppe (z.B. FAGLIONI et al. 1969)
zurück. POECK et al. (1974) sieht in der amnestischen Aphasie sehr
wohl eine eigene Aphasieform und verweist auf die besonderen Ersatzstrategien,
die die Amnestiker im Unterschied zu den Wernicke-Aphasikern heranziehen.
WERANI (1997:69) hält an der allgemein vorherrschenden Beurteilung
fest, die amnestische Aphasie sei differentialdiagnostisch gegen eine Wernicke-Aphasie
sowie Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen abzugrenzen. LEUNINGER
(1987:101) hingegen betrachtet den Aphasietyp kritisch und betont die Problematik,
amnestische Aphasie mit Hilfe von linguistischen Parametern von der Wernicke-Aphasie
zu unterscheiden. Trotz aller Unstimmigkeiten gilt die amnestische Aphasie
vorherrschend als die leichteste Form der Aphasie. Zu den sprachlichen
Leitsymptomen gehören die Wortfindungs- und Benennstörungen.
Die Wortfindungsstörungen bewirken, daß bei gut erhaltenem Sprachfluß
und überwiegend intaktem Satzbau die Rede des Patienten redundant
und informationsarm ist. Steht ihm ein Wort nicht zur Verfügung, greift
er nach POECK et al. (1974:2) zu Umwegleistungen, Ersatzstrategien, die
individuell variieren, doch für den eigenständigen Status dieser
Aphasieform verantwortlich sind. Der amnestische Patient weicht in allgemeine
Floskeln aus (z.B. na sie wissen schon...), gebraucht Ersatzwörter
ohne spezifische Bedeutung (z.B. das Dings da), gibt die Gebrauchsbeschreibung
(z.B. um die Zeit zu sehen für Uhr) oder die Eigenschaft des
intendierten Wortes (z.B. was so schwarz ist für Kohle) an.
Zusätzlich zu den Wortfindungsstörungen können einzelne
semantische Paraphasien auftreten, deren Bedeutung aber nur geringfügig
vom intendierten Wort abweicht. Phonematische Paraphasien sind ebenso wie
der vollständige Abbruch einer Äußerung selten. Der Patient
ist bemüht, in abgeänderter Form sein Anliegen zum Ausdruck zu
bringen oder seine Kommunikationsabsicht pantomimisch darzustellen. Sein
Sprachverständnis ist nur gering gestört und die Artikulation
ist ungestört. Da bei diesen Patienten primär keine Störung
im Satzbau vorliegt, versuchen sie, das intendierte Wort durch den Gebrauch
syntaktischer Konstruktionen zu finden. Folgendes Beispiel soll diese Suche
illustrieren.
Abbildung: Apfel
Benennung: Das ist, verstehen Sie, ich kenne es gut. Man kann es
essen. Eine gute Marmelade kann man aus Äpfeln machen. Apfel?! Apfel
- das ist es.
(TSVETKOVA 1996:182)
Ein weiteres Beispiel zeigt die Benennversuche eines amnestischen Patienten,
dem dieselben Bilder gezeigt wurden wie dem von mir als Beispiel angeführten
Broca-Aphasiker. Seine Benennleistungen fallen wie erwartet anders aus:
Abbildung: Erbse (in Schote)
Benennung: Das ist für den ...die gehören raus gemacht
Abbildung: Banane
Benennung: zum essen ein Ding
Abbildung: Schmetterling
Benennung: Fliegen, weiß nicht wie das heißt
(GOLDENBERG 1997:80)
Im Unterschied zum Broca-Aphasiker ist die phonematische Form der Worte korrekt, aber man erkennt deutlich die typischen Ersatzstrategien des amnestischen Aphasikers.
Die globale Aphasie gilt als die schwerste Aphasieform, und ist als
häufigstes und stabilstes Störungsbild vaskulär verursachter
zentraler Sprachstörungen zu bezeichnen. Bei der globalen Aphasie
kommt es unter anderem zu umfassenden Störungen in allen Komponenten
des Sprachsystems, ohne daß in der Regel ein völliger Ausfall
der Sprachverarbeitung zu beobachten ist.
Die Patienten sind demnach gleichermaßen in der Sprachproduktion
und im Sprachverständnis stark reduziert. Die wenigen sprachlichen
Äußerungen, die mit manchmal erheblicher Sprechanstrengung und
schlechter Artikulation stockend produziert werden, sind mit Sprachautomatismen
und Stereotypen durchsetzt. Bei den Sprachautomatismen handelt es sich
um sinnlose Lautverbindungen (z.B. Abbildung: Zigarre; Benennung: nonono
- nano) oder um formstarre Äußerungen (z.B.: ja, das
ist gut. Ja, das ist gut. Ja, ja, das ist gut.), die bei häufiger
Wiederholung in der Sprachproduktion als ``recurring utterances'' bezeichnet
werden. Im Unterschied zu den Automatismen können die stereotyp wiederkehrenden
Floskeln häufig der Sprechsituation angemessen eingesetzt werden.
Beispiele hierfür sind nach HUBER et al. (:106),
und so weiter, meine Güte, Donnerwetter, ach ja, ach Gott, Sie
wissen schon, was ich meine. Über syntaktische Strukturen lassen
sich kaum Aussagen machen, weil die Patienten kaum ganze Sätze produzieren
können. Das folgende Beispiel zeigt ein Gespräch mit einem globalen
Aphasiker, der mit Vorliebe die automatisierte Phrase Das ist gut
an Stellen verwendet, wo sie inhaltlich nicht paßt.
H.D.: Herr L., bald gehen Sie nach Hause? Was machen Sie denn, wenn
Sie frei haben?
F.L.: Ja, das ist gut. Ja, das ist gut jetzt. Ja, ja, das ist gut.
H.D.: Sind sie dann draußen eher, oder drinnen?
F.L.: Ja, ja, jaja ...das ist gut. Ja, das ist gut, das ist gut
...nein.
H.D.: Herr L., wie geht es denn mit dem Sprechen jetzt?
F.L.: Ja, ja, mit dem Sprechen sind ...O jessas na, nein, nein.
H.D.: Probieren Sie doch mal zu beschreiben, was seit November passiert
ist, Herr L.
F.L.: Was ist ...Das ist gut, das ist gut. ...
(GOLDENBERG 1997:88)
Im folgenden sollen die Kernannahmen des Syndromansatzes näher betrachtet werden, wobei einführend bemerkt werden muß, daß die heutige Forschung nach neuen Beschreibungsmöglichkeiten sucht, um das Sprachverhalten aphasiologischer Patienten genauer zu erfassen. Das Forschungsinteresse wendet sich von der Syndrom-Klassifizierung ab und ist bemüht, sich eingehender mit den einzelnen aphasischen Symptomen zu beschäftigen. In der Forschung hat somit ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der aus einer ganzen Reihe von Problemen mit den Kernannahmen des Syndromansatzes entstanden ist. Im Syndromansatz herrscht der lokalisatorische Ansatz vor, bei dem für die Aphasietypen vaskuläre Ursachen angenommen werden. Selbst POECK (1997) räumt ein, daß die vaskulär bedingten Aphasiker nur in 80% der Fälle aufgrund ihrer Spontansprache in natürliche Gruppen einzuteilen sind. Selbst unter den vier Standardsyndromen hat sich gezeigt, daß die amnestische Aphasie keinem bestimmten Gefäßgebiet zuzuordnen ist. Dieser Typ reiht sich zu den restlichen 20% Aphasien ein, die durch eine andere Ätiologie, wie beispielsweise Schädelhirntraumata, entstanden sind. Das große Problem des Syndromansatzes ergibt sich für die Forscher allerdings in der Praxis, da sie immer wieder unterschiedliche Symptome bei aphasischen Patienten feststellen, welche dem gleichen aphasischen Syndrom zuzuordnen sind. Die Syndrome sind also in sich heterogen. Beispielsweise gibt es aphasische Patienten, die der Broca-Aphasie ohne dem sprachlichen Hauptleitsymptom Agrammatismus zugeordnet werden (GOODGLASS 1993). Außerdem treten die Symptome bei verschiedenen Aphasietypen auf. So kommen die Wortfindungsstörungen, die das Hauptstörungsmerkmal der amnestischen Aphasie sind, auch in unterschiedlicher Form bei den anderen Syndromen vor. Auch zeigte sich, daß manche Symptome zu ungenau sind. So ist nach GOODGLASS (1993) beispielsweise das Symptom Agrammatismus selbst ein Syndrom und die einzelnen agrammatischen Symptome müssen näher bestimmt werden.
Die kritische Auseinandersetzung mit dem klassischen Syndromansatz hat zu einer Distanzierung von den syndromorientierten Gruppenstudien geführt. Ihr Hauptproblem, welches sich bei der Bildung homogener Gruppen von aphasischen Patienten niederschlägt, wird durch die heute vorherrschende Methode der Einzelfalluntersuchung komplett ausgeklammert, weshalb diese die Gruppenstudien weitgehend abgelöst haben. Bei der Einzelfallstudie wird der Schwerpunkt auf die sprachlichen Leitsymptome gelegt, die anhand von Sprachverarbeitungsmodellen analysiert und erklärt werden. Innerhalb der aphasischen Forschung gibt es einen Ansatz, der die Syndromklassifizierung insgesamt ablehnt, weil eine Einteilung in Syndromklassen nicht notwendig ist, um effektive Aphasiologie zu praktizieren. Nach CARAMAZZA (1986) muß jeder Patient als einzigartiger Fall behandelt werden, der getrennter Erklärung bedarf. Auch wenn der klassische Syndromansatz etliche Mängel aufweist, sollte seine Stärke in der aphasischen Forschung nicht unterschätzt werden. Mit den Syndrom-Bezeichnungen werden nämlich wesentliche Informationen über das Verhalten eines Patienten (z.B. Störung des Sprachverständnisses) übermittelt, ohne die genauen Symptome im einzelnen auflisten zu müssen. So können sich nach BENSON (1988) auch die Betroffenen selbst und deren Angehörige ein grobes Bild von dem Phänomen Aphasie machen. Diesem einfachen Klassifikationsschema liegt somit ein pragmatischer Aspekt zugrunde. Abschließend soll mit einem Zitat von K. Poeck auf die Notwendigkeit des Syndromansatzes und die Gleichberechtigung von Gruppen- und Einzelfallstudien hingewiesen werden:
Jeder, der sich mit Aphasien mehr als nur anekdotisch befaßt, muß bestrebt sein, nicht nur Einzelphänomene an einzelnen, ihm als besonders charakterisch erscheinenden Patienten zu erkennen, sondern er muß auch das Ziel haben, größere Gruppen von Patienten zu untersuchen, um festzustellen, welche Phänomene vielen Aphasikern gemeinsam sind. Der alte Streit: Einzelfallstudien gegen Gruppenuntersuchungen wird dadurch aufgehoben, daß man aus der Beobachtung von einzelnen Patienten Anregungen und Hinweise gewinnt, die an größeren Gruppen von Patienten überprüft werden müssen.
(POECK :97)