Obwohl die sprachlichen Zeichen ihrem Wesen nach psychisch sind, so sind sie doch keine Abstraktionen; da die Assoziationen durch kollektive Übereinstimmung anerkannt sind und ihre Gesamtheit die Sprache ausmacht, sind sie Realitäten, deren Sitz im Gehirn ist.Bereits um die Zeit 2500-2000 v. Chr. hat der ägyptische Arzt Imhotep Sprachstörungen infolge von Hirnschädigungen dokumentiert und damit gezeigt, daß die Sprache als mentales Phänomen eine kognitive Leistung des menschlichen Gehirns ist und als solche eng mit der Funktionsweise dieses Organs verbunden ist. Somit liegen dieser geistigen Erscheinungsform in ``unserem Kopf'' kognitive Struktur- und Prozeßphänomene zugrunde, die z.B. beim Sprechen, Speichern oder Abruf von Sprache im Gehirn ablaufen.
(DE SAUSSURE :18)
Die vorliegende Arbeit thematisiert hirnbedingte Sprachstörungen im Hinblick auf Erkenntnisse über das Verhältnis von Sprache und Gehirn bzw. über den Zusammenhang von neuroanatomischen und neurophysiologischen Aspekten kognitiver Sprachfunktionen. Das Ziel ist hochgesteckt, wie GOLDMAN-RAKIC (1992:68) formuliert, aber auch wenn das Zusammenspiel von Sprache und biologischer Materie in naher Zukunft den Forschern rätselhaft bleiben wird, bietet der Forschungsbereich Neurolinguistik eine interdisziplinäre Perspektive, der hier nachgegangen wird. Neue Techniken, die einen direkten Einblick in die funktionelle Arbeitsweise des Gehirns erlauben, d.h. in die ``kognitive Realität'' der Sprache, sollen die an der Sprachverarbeitung beteiligten inneren Strukturen des Gehirns aufzeigen und somit für ein tieferes Verständnis sorgen. Eine Einführung in neurophysiologische Aspekte kommt der Frage nach, welche Gehirnprozesse mit welchen sprachlichen Zeichen korrelieren könnten, wobei sprachbiologische Ansätze aufgezeigt werden.
Die als Folge einer Erkrankung des zentralen Nervensystems auftretenden
sprachlichen Störungsmerkmale betreffen unterschiedliche Bereiche
des Sprachwissen, wie Wortschatz oder Satzbau, und können sich auf
alle Modalitäten des sprachlichen Verarbeitens, d.h. auf Sprechen,
Verstehen, Lesen und Schreiben auswirken. Diese Arbeit hat die sprachliche
Modalität Sprechen zum Gegenstand und behandelt die sprachgestörte
Wortproduktion von Patienten mit dem Leitsymptom Wortfindungsstörungen,
die hier nicht nur Blockaden der Wortfindung (BLANKEN 1989:107)
darstellen.
Experimentelle Studien, die den Benennvorgang von Bildern und Gegenständen
untersuchen, sollen belegen, daß aphasische Patienten unterschiedliche
Defizite in der Verfügbarkeit von Substantiven aufweisen,
wobei typische Antwortmuster beobachtet werden, die mit den geforderten
Zielwörtern in bedeutungs- und/oder lautähnlicher Beziehung stehen.
Diese Zielwort-Antwort-Relationen dienen als Indizien für die Organisation
des Lexikons in ``unserem Kopf''. Mit Hilfe psycholinguistischer Modellvorstellungen
soll das sogenannte ``mentale'' Lexikon charakterisiert und die Ursachen
von Wortfindungsstörungen funktionell lokalisiert werden.